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Links oder rechts -
Wie können wir Kinder in ihrer Händigkeit unterstützen?
Heute muss sich keiner mehr für seine (Links-)Händigkeit rechtfertigen. Trotzdem gibt es auf diesem Gebiet noch viel Unsicherheit und auch eine Menge Unwissen. Kinder werden heute nicht mehr aktiv umgeschult, und dennoch gibt es weiterhin umgeschulte Linkshänder.
Ich möchte im Folgenden die Fragen beantworten: Was ist Händigkeit und warum gibt es sie? Wie entwickelt sich die Handpräferenz und warum passieren Umschulungen? Wie können Kinder zu Hause und in Kindergarten und Schule in ihrer jeweiligen Händigkeit unterstützt werden?
Hintergrund
Was ist Händigkeit? Händigkeit (auch Lateralität oder Handpräferenz) bedeutet die Unterscheidung von Haltehand und Führungshand. Die Haltehand übernimmt bei beidhändigen Aufgaben die passive Rolle, die dominante Führungshand arbeitet aktiv. Grund hierfür ist die Zweiteilung unseres Gehirns, auch hier hat jeder Mensch eine dominante Gehirnhälfte. Ist die rechte Gehirnhälfte dominant, wird die linke zur dominanten Hand. Bei dominanter linker Gehirnhälfte entwickelt sich die rechte Hand zur dominanten. Händigkeit, Füßigkeit, Äugigkeit und Ohrigkeit stehen nicht automatisch in Zusammenhang, hier sind keine übereilten Schlüsse zu ziehen!1
Welche Vorteile bringt es mit sich, wenn eine Hand dominant ist? Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass die dominante Hand vor allem bei Aufgaben eingesetzt wird, die eine äußerst gute Motorik erfordern. Leichtere Tätigkeiten führen sowohl Menschen als auch Menschenaffen mit Führungs- oder Haltehand aus. Es kann darauf geschlossen werden, dass die Evolution für eine effektive Aufgabenteilung zwischen den Gehirnhälften gesorgt hat, quasi als Sparmaßnahme. Komplizierte Tätigkeiten können so schneller und präziser ausgeführt werden.
Bei den meisten Menschen sitzt das Sprachzentrum in der linken Gehirnhälfte. Möglicherweise haben sich dort bei unseren Vorfahren gleichzeitig die Sprechmotorik und die Gestik entwickelt, zwei motorisch anspruchsvolle Bereiche. Dass diese beiden Bereiche gekoppelt sind, erkennt man z.B. daran, dass Gestik und Mimik das Sprechen unterstreichen, oder, dass sich Gelerntes besser einprägt, wenn eine passende Bewegung dazu ausgeführt wird. So wurde die linke Gehirnhälfte häufig zur dominanten, die somit die rechte Hand präziser steuern kann.2
Entwicklung
Die Händigkeit an sich ist bei der Geburt bereits festgelegt. Schon bei vielen Kleinkindern lässt sich der Gebrauch der spezialisierten Hand bei besonders schwierigen oder spontanen Tätigkeiten beobachten. Hierzu gehören: Zähne putzen, greifen, Blumen gießen, würfeln, kreiseln, grüßen. Das heißt allerdings nicht, dass alle Kinder später von selbst die dominante Hand zum Malen und Schreiben einsetzen. Ca. bis zum vierten Geburtstag befinden sich Kinder noch in einer Ausprobierphase. Beim Essen, Malen, Spielen, etc. werden beide Hände eingesetzt. In dieser Phase kommt es bei der gesunden Entwicklung auf feinfühlige Bezugspersonen an.
Warum kommen auch heute noch Umschulungen vor? Alle Kinder sind einer mehrheitlich rechtshändigen Umgebung ausgesetzt und es kommt daher vor allem bei Linkshändern manchmal zur einer (heutzutage fast immer unbewussten) Umschulung. Der Löffel wird durch einen Erwachsenen rechts neben den Teller gelegt, das Kind soll die rechte Hand zur Begrüßung geben, oder der Buntstift wird dem Kind in die rechte Hand gedrückt. Es kommt aber auch vor, dass sich Kinder selbst umschulen. Da Kinder durch Imitation lernen, wird manchmal das Ausführen einer bestimmten Tätigkeit von Eltern, Geschwistern, Freunden oder Erziehern mitsamt der Führungshand nachgeahmt.
Hat sich ein Kind erst einmal daran gewöhnt, die nicht-dominante Hand als Führungshand einzusetzen, spricht man von einem umgeschulten Linkshänder. Spätestens beim Schreiben treten bei diesen Kindern meist Probleme auf, die auf die Überforderung der nicht-dominanten Gehirnhälfte zurückzuführen sind. Ein solches Kind kann große Startschwierigkeiten in der Schule haben. Deshalb ist es wichtig, dass um den fünften Geburtstag herum bzw. spätestens ein Jahr vor der Einschulung die Handpräferenz zu erkennen ist, d.h., dass die dominante Hand auch tatsächlich als Führungshand eingesetzt wird. Ist dies nicht der Fall, oder gibt es Anzeichen einer Umschulung, sollte eine qualifizierte Händigkeitstestung durchgeführt werden. Nur so hat das Kind vor dem Schreibenlernen genügend Zeit, mit der spezialisierten Hand zu üben und die Bewegungsabläufe zu automatisieren. Lesen Sie weiter zu Problemen, Testung und zur Rückschulung in „Einfach links schreiben“ von Judith Bremer.
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Brigitte (45): “Ich würde mir für linkshändige Kinder mehr Verständnis und mehr aktive Unterstützung wünschen. Nicht nur beim Schreiben und Schneiden, auch in der Handarbeit muss ihnen die richtige Technik mit links gezeigt werden!”
Stefan (48): “Ich selbst bin wohl umgeschulter Linkshänder, komme aber mittlerweile mit beiden Händen gut zurecht. Dass Kinder heute ganz selbstverständlich Linkshänder sein dürfen, finde ich toll. Trotzdem fehlt, denke ich, in manchen Fällen noch eine spezielle Schulung der Pädagogen, oder das passende Werkzeug.”
Anja (34): “Ich wünsche mir mehr Normalität für Linkshänder in der Schule. Rechts- und Linkshänderkinder sollten gleich behandelt werden.”
Gertraud (61): “Meine Linkshändigkeit wurde damals als ‘Charakterschwäche’ abgetan, und so wurde ich umgeschult. Meine 12 Jahre jüngere Schwester durfte mit links schreiben, bekam dazu aber keine korrekte Anleitung und entwickelte eine Hakenhaltung. Ich bin also eigentlich ganz froh, dass ich gelernt habe, auch mit der rechten Hand arbeiten zu können, denn ich kann auf Linkshänderwerkzeug gut verzichten! Noch besser finde ich es natürlich, wenn Kinder heute nicht nach ihrer Handpräferenz bewertet werden, sondern die angemessene Akzeptanz und Unterstützung erfahren.”
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Unterstützung
An dieser Stelle möchte ich darauf eingehen, warum Linkshänder manchmal einen ungeschickteren Eindruck machen als Rechtshänder. Wir wissen nach dem bisher Gelesenen, dass Motorikprobleme tatsächlich und aus gutem Grund umgeschulte Menschen treffen, da diese ihre Haltehand als Führungshand einsetzen. Auch rückgeschulte Menschen können weiterhin Probleme mit ihrer Feinmotorik haben, da sich die Übungs- und Automatisierungszeit der dominanten Hand beträchtlich verkürzt hat.
Diese Alltagsgegenstände sind für Linkshänder schwer zu verwenden.
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Linkshänder dagegen haben genau ein konkretes Problem: Gebrauchsgegenstände sind in aller Regel für Rechtshänder konzipiert. Sie liegen in der linken Hand so, wie ein rechter Schuh am linken Fuß passt! Welche Werkzeuge sollten für Linkshänder sinnvollerweise eigens angeschafft werden? Das lässt sich am direktesten folgendermaßen beantworten: Alle asymmetrischen Gegenstände, bei deren Bedienung beide Hände in ihrer jeweiligen Funktion (halten oder führen) benötigt werden, sollten Links- und Rechtshänder in der für sie richtigen Version besitzen. Die häufigsten sind: Schere, Spitzer, später Füller und Lineal, Dosenöffner, Kartoffelschäler, Küchen- und Brotmesser.3 Auf kleine Hindernisse stoßen aber selbst gut ausgestattete Linkhänder. Anja (34) zeigte mir in ihrer Küche eine Schöpfkelle mit Ausgießer auf der linken Seite: “Um den zu benutzen, muss ich nach außen gießen und mir den Arm verdrehen!”
Linkshänder tun sich mit einer Linkshänderschere leichter, da die Schneidflächen im Vergleich zur Rechtshänderschere vertauscht sind. Man erkennt sie an den zwei verschiedenen Grifffarben. |
Wie können Kinder noch in ihrer jeweiligen Händigkeit unterstützt werden? Zunächst einmal, indem wir uns immer wieder bewusst machen, welche Wertung in unserer Sprache mitschwingt, wenn wir von „links“ und „rechts“ sprechen. Assoziationen von „links“ mit falsch, schlecht, unbeholfen, etc. und von „rechts“ mit richtig und gut, können völlig unbewusst Störungen des Selbstwertgefühls bei linkshändigen Kindern hervorrufen oder das unbestimmte Gefühl, sie würden etwas verkehrt machen. Sich diese Zusammenhänge bewusst zu machen ist der erste Schritt, um beim Thema Lateralität sachlich zu bleiben.
Zusätzlich gibt es verschiedenste Übungen, die Kindern helfen können, sich ihrer Handpräferenz bewusst zu werden. Das sind: 1. Übungen, bei denen beide Hände gleichzeitig dieselbe Bewegung durchführen (z.B. klatschen); 2. Übungen, in denen sich beide Hände mit derselben Bewegung abwechseln (z.B. Wasser von einem Becher in der rechten Hand in einen Becher in der linken Hand umschütten, und wieder zurück); 3. Übungen, die beide Hände in ihrer jeweils designierten Funktion (Haltehand / Führungshand) erfordern (z.B. Perlen oder Ringe auffädeln). Wir bieten in Kürze eine Auswahl solcher Übungen unter “Aktivitäten” (Link folgt).
Damit Rechts- und Linkshänder beim Schreibenlernen dieselben Voraussetzungen haben, muss unbedingt die Einrichtung des Schreibtischs, die Lichtquelle und die Schreibhaltung von Anfang an der Handpräferenz angepasst sein. Für alle Kinder ist erstmal die Sitzhaltung wichtig: Der Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel sollte etwas größer als 90° sein, der Oberkörper leicht vorgebeugt, der Kopf gerade.
Die Hakenhaltung gewöhnen sich manche Linkshänder an, um das Geschriebene nicht zu verwischen. Beim längeren Schreiben, verkrampfen sich jedoch Arm und Schulter.
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Dies ist die ideale Stifthaltung für Linkshänder, mit schräg liegendem Heft. |
Linkshänder drehen das Heft um 30°-45° im Uhrzeigersinn, die linke obere Ecke zeigt also leicht nach oben.
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Rechtshänder drehen das Blatt mind. 30° gegen den Uhrzeigersinn, die rechte obere Ecke zeigt also leicht nach oben.
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Der Stift wird im Drei-Punkt-Griff gehalten, das Stiftende zeigt zur linken Schulter. Auf diese Weise soll die von Linkshändern oft eingenommene Hakenhaltung vermieden werden, die zu großen Verspannungen führen kann, wenn die Kinder später länger am Stück und schneller schreiben.
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Der Stift wird im Drei-Punkt-Griff gehalten, das Stiftende zeigt zur rechten Schulter.
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Alle Finger der Schreibhand sollen unter der Schreiblinie bleiben, der Stift wird in einer locker schiebenden Bewegung über das Blatt geführt. Weichere Minen und spezielle Linkshänderfüller sind hierfür zu empfehlen.
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Indem alle Finger der Schreibhand unterhalb der Schreiblinie bleiben, kann der kleine Finger leicht auf dem Blatt aufliegen, ohne dass das Geschriebene verwischt wird.
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Die rechte Hand liegt locker am Rand des Heftes.
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Die linke Hand liegt locker auf dem Blatt, damit dieses nicht verrutscht.
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Linkshänder sollten links außen oder neben einem weiteren Linkshänder sitzen.
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Rechtshänder sollten rechts außen oder neben einem weiteren Rechtshänder sitzen, damit sich die Nachbarn beim Schreiben nicht in die Quere kommen.
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Die Lichtquelle soll sich rechts oder vorne befinden.
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Das Licht sollte von links oder von vorne kommen.
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Fazit
Indem wir uns bestimmte Dinge bewusst machen, können wir also die Kinder, mit denen wir Umgang haben, in ihrer jeweiligen Handpräferenz unterstützen, ohne sie darin zu beeinflussen. Diese Themen sind: Händigkeit ist angeboren, aber das Schreiben mit der dominanten Hand ist nicht bei allen Kindern selbstverständlich und muss vermittelt werden. Abwertendes Sprechen über Linkshänder ist in unserer Sprache verwurzelt und kann Kinder verunsichern. Rechts- und Linkshänder brauchen für sie passendes Werkzeug und auf sie ausgerichtete Anleitungen, um die gleichen Startbedingungen zu haben. Denn das ist uns wichtig!
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